Es gibt Menschen, die so lange betonen, dass sie eigentlich so und so seien, dass sie für dies und jenes einstünden, dass sie für das eine oder andere brennten, bis man es ihnen nicht mehr glaubt. Ich bin kein Psychologe, aber vermutlich nennt man das profilneurotisch.
So ähnlich geht es momentan dem Bergfilm, von dem sowieso niemand genau weiß, ob er ein eigenes Genre darstellt oder nicht. Der Bergfilm jedenfalls, in moderner Gestalt, will oftmals mehr sein, als er sein kann. Er will aktuell sein. Gesellschaftlich, kulturell oder politisch relevant. Auf irgendeine Art und Weise sinnvoll. Was per se ja nicht schlecht wäre. Wenn er, der Bergfilm, seine Relevanz nicht ständig und fast schon penetrant in den Vordergrund rückte.

Auf dem 73. Trento Film Festival, dem ältesten Bergfilmfestival der Welt, bekam der französische Bergführer und Filmemacher Séb Montaz-Rosset heuer den Grand Prix der International Alliance for Mountain Film (IAMF) überreicht; der Preis wird seit 2002 alljährlich an Menschen vergeben, die sich um den Bergfilm besonders verdient gemacht haben. Séb bekam ihn völlig zurecht. Doch obwohl er seit Jahren gute Filme produziert, vertraute er mir im Gespräch an, wisse er nicht, was das Publikum in Zukunft vom Bergfilm erwarten würde.
Ich antwortete ihm, er solle auf die Kraft seiner alpinen und alpinistischen Erzählungen vertrauen.
Der Bergfilm nämlich hat einen unschätzbaren Vorteil, legt man den Maßstab der aristotelischen Dramentheorie an. Er spielt in einem definierten Zeitrahmen, hat eine klare Handlung und diese ist, wenn es um die mannigfaltige Begegnung zwischen Mensch und Natur geht, zumeist einzigartig und in sich geschlossen. Wie man diese Handlung erzählt, ist eine Frage, deren Beantwortung viel Hirnschmalz erfordert und die sich oft am besten vom Ende her treffen lässt. Mitentscheidend dabei ist, ob ich mir als Filmemacher ein cineastisches Denkmal setzen oder zuvorderst mein Publikum unterhalten will – wobei es dazwischen natürlich viele Schattierungen gibt.

Bei Erstbegehungen alpiner Kletterrouten ist das übrigens ganz ähnlich. Vorausgesetzt, der Erschließer weiß, was er tut, hat sich in Theorie und Praxis mit der Kunst der Routeneröffnung beschäftigt, muss er sich die Frage stellen, ob seine Neuroute „hardcore“ – ernsthaft und gefährlich – oder doch lieber „plaisir“ – genussvoll konsumierbar – sein soll. Die erste Variante verlangt von Wiederholern eine lange und intensive Auseinandersetzung mit dem Sujet, setzt Können und Wissen voraus sowie die Bereitschaft, sich selbst aufs Spiel zu setzen. Das Ergebnis eines derartigen Herangehens kann Schrott sein oder große Kunst. Die Möglichkeit, als Erstbegeher zu scheitern, ist jedenfalls gegeben. Kann gut sein, dass eine Route nie wiederholt – oder ein Bergfilm eben nur von ein paar Enthusiasten und Kritikern angeschaut wird.
Sowohl als Erstbegeher wie auch als Filmemacher kann man auf diese Art zur Legende werden. Ein Status, der allzu oft allerdings vom Werk abgekoppelt ist – Kletterrouten versinken im Dornröschenschlaf, Filme in Kunstarchiven. Wie gesagt, man muss wissen, was man will.
Die Möglichkeit des Scheiterns ist natürlich auch gegeben, wenn man sich für den gefälligeren Weg entscheidet. Sprich, seine Erstbegehung gut absichert, eine ästhetische Linie wählt, den Genuss in den Vordergrund rückt. Oder was den Bergfilm angeht: Dem Zuseher ein paar Interpretationshilfen gibt, ihn durch handwerkliches Können überzeugt, positive Emotionen weckt und gute Unterhaltung schafft. Die Schablone dafür hat Homer mit der Odyssee angefertigt, Hollywood hat sie perfektioniert. Als Filmemacher sollte man die Gesetzmäßigkeiten der Heldenreise jedenfalls kennen. Um im Zweifel mit ihnen brechen zu können.

Natürlich gibt es zwischen den Extremen viele weitere Wege. Ein bisschen Runout, ein bisschen Filmkunst schadet jedenfalls nie. Im besten Fall schafft man so ein Werk – eine Route, einen Film –, das Menschen genießen. Weil sie eine gute Zeit haben. Weil sie sich ein bisschen, aber nicht zu viel, gruseln, fürchten und damit spüren können. Weil sie mitfiebern. Weil sie Empathie, Verantwortung, Mitleid, Sorge empfinden. Etwas spüren. Und alles andere zeitweise vergessen können.
Sei es am Berg, sei es im Kino.